Leben im Übergangswohnheim

Wie der runde Tisch in Hangelar Flüchtlingen hilft

Und plötzlich fließen die Tränen. Nicht bei den Kindern, bei den Erwachsenen.
Papa und Mama müssen weinen, als sie mir die Geschichte ihrer Flucht von Teheran in den Rhein-Sieg Kreis erzählen.
Mustafa* (33) und Mina (28) reiben sich die geröteten Augen, während sich Tochter Mahsa (9) und der kleine einjährige Kasra mit dem großen Zeichenblock beschäftigen.

Wir sitzen in dem kleinen Vereinsraum des Turnverein Hangelar 1962 e.V..
Otto Deibler ist hier der Vorsitzende, er hat uns zusammengebracht. Er macht mit beim Runden Tisch, einer Bürgerinitiative für Flüchtlinge. Und er kümmert sich jetzt um die Kinder, damit die Erwachsenen reden können. Dank einer Übersetzerin gelingt das auf Farsi und Deutsch.

Ein Zimmer für Vier

„Am schwierigsten ist die Enge. Wir teilen uns den Kühlschrank, die Küche und das Bad mit 29 anderen Flüchtlingen. Wenn du nicht aufpasst, sind deine Einkäufe aus dem Kühlschrank weg, bevor du sie verkocht hast. Kasra hat Asthma, aber die anderen nehmen darauf keine Rücksicht und rauchen. Wir müssen dann die Tür zumachen und dann wird es noch enger“, erzählt Mina.
Vielleicht 12 oder 13 Quadratmeter misst das Zimmer, das der vierköpfigen Familie im Übergangswohnheim seit sieben Wochen als Zuhause dient. Hier schlafen und essen sie, hier macht die Neunjährige die Hausaufgaben.

Wir waren nicht mehr sicher

In Teheran hatten sie ein geräumiges Dreizimmer-Appartement, Mustafa hatte einen guten Job in der Industrie, Mina studierte.
Was hat die Fami- lie in die Flucht getrieben, was hat sie zu diesem Schritt ins Ungewisse veranlasst? Warum haben sie den Beruf aufgegeben, Familie und Freunde? Und warum haben sie eines  Tages das Ersparte an Leute gezahlt, die die Flucht organisierten, inklusive Visum und Linienflug über Dubai nach Düsseldorf?
Das war vor rund zehn Wochen.

„Wir waren nicht mehr sicher“, erzählt Mustafa, „nachdem mein Bruder eine Bibel in unserer Wohnung entdeckt hatte. Er ist fanatisch und hat uns sofort an ein Komitee verraten. Die haben meinen Arbeitgeber gesagt, dass ich Christ bin. Und von da an wurde meiner Familie gedroht.
“Wovon sich liberal denkende Muslime andernorts selbstverständlich distanzieren, ist  im Iran immer noch an der Tagesordnung.
Das Land ist seit Jahrzehnten für seine Menschenrechtsverletzungen bekannt. Die radikale Koranauslegung der Mullahs sieht eine Konvertierung zum Christentum nicht vor, der Druck steigt häufig auch in der eigenen Familie bis ins Unerträgliche. Meinungs- und Pressefreiheit gibt es nicht, kritischen Journalisten droht Folter.

Kaum vorstellbar, wie man in einer solchen Umgebung überhaupt an eine Bibel kommt.
Mustafa: „Ein Freund von mir war Christ und hat mir viel davon erzählt. Mich haben die Geschichten gepackt und dann habe ich auch meiner Frau davon erzählt.“ In Hauskreisen traf sich die Familie dann heimlich mit anderen, um über den neuen Glauben zu sprechen.

Wie soll es weitergehen?

Und hier in Deutschland? Wie soll es jetzt weitergehen im Rhein-Sieg- Kreis?
Mahsa geht seit einer Woche in die zweite Klasse. Ein Anfang, auch wenn sie noch kein Wort Deutsch spricht. Mustafa und Mina hoffen auf eine kleine Wohnung, mit den Zahlungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz wird das schwer. Etwas mehr als 1000 Euro  stehen der  Familie im Monat zur Verfügung.
„Das Wichtigste ist ein Sprachkurs, ich möchte gerne so schnell wie möglich Geld verdienen“, sagt Mustafa. Als Ingenieur hätte er wahrscheinlich sogar Chancen. Aber bis dahin wird noch etwas Zeit vergehen.

Paten gesucht

„Die ersten Wochen sind schwer“, sagt Otto Deibler, der sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge kümmert. Im Moment ist er jeden Tag im Übergangswohnheim oder mit den Familien unterwegs. Einige besuchen auch schon die Sportgruppen. Um den Flüchtlingsfamilien die ersten Schritte in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen, vermittelt der Runde Tisch in Hangelar Patenschaften.

Christiane Heilen, Ortsvorsteherin in Hangelar: „Es fallen zum Beispiel Behördengänge an, die diese Familien ohne Deutsch kaum bewältigen können. Es geht aber auch um Arztbesuche, wenn einer krank wird.
All das sind mögliche Aufgaben für einen Paten aus der Region.“
Zwölf Personen sind mittlerweile im Runden Tisch organisiert, neben der Ortsvorsteherin und Otto Deibler sind auch die beiden Kirchengemeinden vertreten, weitere Vereine und Vertreter von  Schule und  Kindergarten.
Alle vier bis sechs Wochen treffen sie sich im Gemeindezentrum der Christuskirche oder im Pfarrheim der katholischen Sankt Anna Kirche.

Mustafa, Mina, Mahsa und Kasra und die 25 anderen aus dem Übergangswohnheim werden voraussichtlich nicht die einzigen bleiben. Es sollen zwei weitere Container kommen in den nächsten Monaten. Die engagierten Helfer vom Runden Tisch freuen sich über neue Patinnen und Paten.

*alle Namen geändert.

Wer Interesse hat, kann sich bei den Initiatoren melden. Ausführliche Informationen dazu .....hier

Sascha Decker                                                                                 zurück zum Menü NACHGEDACHT

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